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Kai Sender
Sozialarbeiter
Bremen
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Die Kraft der Erinnerung

Wenn Gegenstände Geschichten erzählen: Einen kreativen Umgang mit der Trauer finden

Erinnerungsstücke können dabei unterstützen, nach vorne in eine neue Zukunft zu schauen und dabei die gemeinsame Vergangenheit im Blick zu behalten. (Foto: Freepik)

Bremen. Trauer wird oft mit Schmerz verbunden – dabei besteht Trauer zu einem großen Teil aus Erinnerungsarbeit. „Diese erfordert ein Verhandeln zwischen Vergangenheit und Zukunft“, erklärt die Trauerbegleiterin Anemone Zeim. Da keine neuen Erlebnisse mehr hinzukommen, werden alle gemeinsamen Erinnerungen sehr wertvoll für die Angehörigen.

Kurz nach dem Verlust eines geliebten Menschen befinden sich Trauernde in einer Stressreaktion, in dem sie manchmal kaum auf Erinnerungen an die oder den Verstorbenen zugreifen können. „Doch diese kommen mit der Zeit zurück, besonders in Momenten der Entspannung. Wichtig dafür ist, im Austausch miteinander zu bleiben und über die Verstorbenen zu sprechen. Erinnerungen und Geschichten können ein Geschenk für die Angehörigen sein, selbst Jahre nach dem Todesfall“, so Anemone Zeim.

Erinnerungen gehen also nicht verloren, „sie sind fest gespeichert, müssen aber angelockt werden“, sagt Zeim. „Erinnerungen lassen sich mit Schmetterlingen vergleichen, sie kommen und gehen scheinbar aus dem Nichts, werden aber immer unbewusst von etwas ausgelöst – das können Gerüche oder Musik sein“, erklärt Zeim weiter. Das Gehirn verbinde diese Impulse unbewusst mit Erinnerungen und kann Gedankenketten in Gang setzen und bestimmte Gefühle auslösen, die mit der oder dem Verstorbenen verbunden werden.

Zwischen Loslassen und Festhalten

Trauer ist ein Kontrollverlust, daher sei es heilsam, in einen positiven Aktionismus überzugehen und die hinterbliebenen Sachen zu sortieren – dazu gehöre aber auch die Überlegung, was man loslassen könne. „Wenn man das ‚Best of‘ der Vergangenheit mit in die Zukunft nehmen kann, wird die Trauer erträglich“, sagt die Trauerbegleiterin.

Darin liege laut Anemone Zeim die Kraft der Erinnerung: „Ziel ist es, eine Verbindung
zu schaffen – oft geschieht das leider über Schuldgefühle – doch es ist viel heilsamer, ein nostalgisches und wärmendes Gefühl zu erzeugen, sich begleitet zu fühlen und Sinn im Leben zu finden.“

Ein Schritt dahin kann ein Besuch in einer Erinnerungswerkstatt sein. Dort wird gemeinsam überlegt, welches Stück einem selbst Kraft gibt: „Und aus der Arbeit am Erinnerungsstück entsteht Selbstwirksamkeit. Die oder der Verstorbene lebt durch die Geschichte weiter, die am Gegenstand haftet.“ Doch es gehe nicht darum, Museumsstücke zu erschaffen, sondern der Frage nachzugehen, wie sich Erinnerungsstücke in den Alltag integrieren lassen, so Zeim weiter und nennt ein Beispiel: Nach dem Tod ihrer Mutter bewahrt die Tochter einen selbstgestrickten Pullover auf, dieser findet aber keinen sinnvollen Platz in ihrem Zuhause. „Also brachte sie ihn in die Erinnerungswerkstatt – und es stellte sich heraus, dass es nicht um die Form, sondern eher um das Material und den Geruch geht. Der Pullover wurde aufgetrennt und aus dem Garn ein Schal gestrickt. Diesen kann die Frau nun tragen, wenn ihr danach ist oder er wird bei
anderen Schals aufbewahrt. So findet dieses Erinnerungsstück eine neue Bedeutung und wird zum Kraftspender“, erzählt Zeim.

Der Sache eine neue Form geben

Die Basis des Erinnerungsstücks ist immer eine bestimmte Erinnerung oder eine Geschichte. In der Werkstatt wird dann der Frage nachgegangen, welche Form der Gegenstand annehmen kann, um für die Angehörigen ein Symbol der Kraft zu werden. So hat beispielsweise die letzte Hinterbliebene einer Familie bereits viele Dinge aussortiert, diese waren jedoch sehr personenbezogen, und es ließ sich kein einzelner Gegenstand finden, der sie an das Familiengefühl erinnert. Jedoch kennt sie noch die Festnetznummer ihres Elternhauses auswendig: „Und so wurde aus diesen Ziffern eine Küchenuhr erstellt – auch wenn es nur acht statt zwölf Zahlen sind. Diese gibt ihr jetzt bei jedem Blick auf die Uhr unbewusst ein
gutes Gefühl“, erzählt Zeim.

Eine andere Familie habe die Geige des Verstorbenen zersägt und daraus ein Mobile gebastelt. Es geht also darum, die Erinnerungen zu sortieren und aktiv neue Ideen daraus zu entwickeln.

Doch es muss nicht immer ein Gegenstand sein. Auch gemeinsame Rituale können nach einem Todesfall angepasst werden. „Nach dem Verlust ihres Mannes wollte eine Frau den gemeinsamen Kneipenbesuch am Freitagabend nicht aufgeben, konnte aber auch nicht allein hingehen“, erzählt Zeim. So wurde das Feierabendbier auf die Apfelwiese hinter dem Haus verlegt und es entstand ein neues Ritual.

Alle Gefühle zulassen

Bei der Erinnerungsarbeit kommt es auch auf die persönliche Haltung an. „Grundsätzlich kommt es in der Trauer auch zu einem Gefühl der Anspannung und teilweise Aggression – schließlich ist es auch ein Abschied vom Wunschbild der eigenen Zukunft“, sagt Anemone Zeim. Alle Gefühle können zugelassen und auch schlechte Erinnerungen können ruhig erzählt werden, meint Zeim: „Manche wollen diese auch zeremoniell ‚beerdigen‘. Das schafft Balance und Erleichterung.“

Generell erinnere sich das Gehirn eher an negative Erlebnisse als an die schönen kleinen Momente. „Eine einprägsame Zeit wie eine Erkrankung oder den Verstorbenen in den Tod zu begleiten, ist daher oft noch sehr präsent im Gedächtnis. Diese Zeit sollte die positiven Momente jedoch nicht überschatten. Also hilft es, die negativen Erinnerungen an diese schwierige Zeit in eine andere Perspektive zu setzen und nicht repräsentativ für das Leben der oder des Verstorbenen anzusehen“, sagt Anemone Zeim.

Kreativität und Geduld sind dafür wichtige Faktoren im Trauerprozess. Ein Todesfall drehe zunächst alles auf links und man beginne zu sortieren, so Anemone Zeim. „Daher kann es heilsam sein, aktiv den Weg der Trauerarbeit zu gehen und Mut und Vertrauen in die Erinnerung zu haben.“

Auf positive Überraschungen einlassen

„Denn Erinnerung ist vielfältig und kann auch in anderen Sprachen und Formen zum Ausdruck kommen, als man erwartet“, sagt die Trauerbegleiterin. Sie empfiehlt, möglichst positiv durch den Alltag zu gehen und auf kleine Zeichen zu achten. Das können Tiere wie Eichhörnchen oder Rotkehlchen oder auch Wolkenformen oder Steinchen am Wegrand sein, die einen an die geliebte Person erinnern und eine Verbindung zu ihr herstellen. „Diese Verbindung im Alltag zu spüren und sich positiv überraschen zu lassen, hilft Trauernden auf ihrem Weg.“